Gesetzliche Vorgaben / Möglichkeit politischer Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund - Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Partizipation

Beitragsseiten

Anzeige Werbung Kanzleien Anzeige

Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Partizipation

Die wesentlichen Mitwirkungsrechte setzen in Deutschland wie in anderen Staaten den Besitz der Staatsangehörigkeit voraus. Ohne sie kann grundsätzlich niemand, auch wenn er noch so lange in Deutschland lebt, an Wahlen teilnehmen. Wie die Ausnahme der in Deutschland lebenden Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten, die an den hiesigen Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, zeigt, sind freilich solche Partizipationsrechte nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie kommen freilich dann nicht in Betracht, wenn sie über die kommunale Ebene hinausreichen oder wenn sie nicht auf Gemeinschaftsrecht beruhen. Dabei soll hier nicht weiter der Frage nachgegangen werden, ob die EU-Organe im Zuge der fortschreitenden Rechtsvereinheitlichung in Europa auch die Bundestags- und Landtagswahlen für alle Migranten oder zumindest für Unionsbürger öffnen könnte. Solche Pläne könnten vermutlich an der für die Staatsangehörigkeit und die Staatsorganisation aufrechterhaltene Souveränität der Mitgliedstaaten scheitern. Es wäre allerdings ein schwerer Fehler, wenn man die Diskussion um bessere Teilhaberechte hier beendete und etwa annähme, der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sei auf Menschen ohne Migrationshintergrund beschränkt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit hat Migranten der unterschiedlichsten Herkunft schon immer offen gestanden. Die Möglichkeit der Einbeziehung in den deutschen Staatsverband war auch nicht etwa auf Deutschstämmige oder auf Menschen mit engeren Bindungen an das deutsche Volkstum und auch nicht auf das Mittel der Einbürgerung begrenzt.
Zunächst ist dabei an die deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges und im unmittelbaren Anschluss daran zu denken, die entweder die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besaßen oder sie nicht mehr nachweisen konnten. Sie alle erwarben mit ihrer Aufnahme in Deutschland den Deutschenstatus und damit die Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen. Dieser Vorgang war zudem nicht auf die ersten Nachkriegsjahre und auf die Zeit der Vertreibungsmaßnahmen beschränkt, er setzte sich bei den Aussiedlern fort und dauert bei den Spätaussiedlern an – wenn der Gesetzgeber nicht eingreift, noch annähernd 100 Jahre lang. {mosgoogle}

Die Einbürgerung hat in Deutschland Tradition, sie war aber über viele Jahrzehnte hin nicht sonderlich erwünscht. Die nach 1960 allmählich und seit 1985 stärker ansteigenden Zahlen beruhten in manchen Jahren überwiegend auf der Einbürgerung von Statusdeutschen, also auf einer bloßen rechtlichen Umbuchung von der einen in die andere Kategorie von Deutschen. Dadurch wurde der Bestand von Deutschen und damit partizipationsberechtigten Menschen in Deutschland in keiner Weise verändert. Erst nach Einführung von Rechtsansprüchen auf Einbürgerung für jüngere sowie für längere Zeit in Deutschland lebende Ausländer im Jahre 1990 konnte die deutsche Staatsangehörigkeit vermehrt auf Antrag an Nichtdeutsche verliehen werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Wege zur Deckungsgleichheit von Wohnbevölkerung und Wahlvolk wurde mit der Staatsangehörigkeitsrechtsreform im Jahre 2000 getan. Die Erleichterungen für die Antragseinbürgerung und die vermehrte Hinnahme von Mehrstaatigkeit werden die Einbürgerungszahlen weder sprunghaft noch nachhaltig ansteigen lassen. Das Kontingent der in Deutschland lebenden Ausländer, welche die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben könnten und sie auch anstreben, hat naturgemäß in den letzten Jahren abgenommen und wird selbst bei gleich bleibender Zuwanderung weiter abnehmen.
Dazu trägt zunächst einmal die Einführung von Ius-soli-Elementen in das deutsche Recht bei. Die Kinder ausländischer Eltern, die mit der Geburt in Deutschland Deutsche werden, wachsen nicht mehr wie frühere Jahrgänge junger Migranten als Ausländer in Deutschland auf, sondern als Deutsche, zumindest was ihre Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen politischen und sozialen Rechte angeht. Darüber hinaus vererben sie diese Staatsangehörigkeit ebenso wie Kinder von Deutschen an ihre Nachkommen gleich welcher Stufe. Das Erklärungsverfahren für Ius-soli-Deutsche nach Erreichen der Volljährigkeit und der Generationenschnitt für Auslandsdeutsche der zweiten Generation werden hier nur in geringem Ausmaß und allenfalls auf längere Sicht korrigierend wirken können.

Außerdem wird der Drang nach der deutschen Staatsangehörigkeit auch deswegen nachlassen, weil die Aufenthalts- und Sozialrechte der Ausländer sowohl mit dem neuen Zuwanderungsrecht als auch im Zuge der noch bevorstehenden Umsetzung der EU-Richtlinie über das Daueraufenthaltsrecht gestärkt werden. Ohne dies im Einzelnen bewerten zu wollen, ist Migranten erfahrungsgemäß zunächst einmal daran gelegen, sich in beruflicher, wohnungsmäßiger und allgemein gesellschaftlicher Hinsicht in die hiesigen Lebensverhältnisse einzufinden. Das wesentlich darüber hinausgehende Interesse an einer politischen Partizipation setzt in aller Regel erst sehr viel später ein - und leider oft überhaupt nicht. Je stabiler der rechts- und Sozialstatus von Migranten ausgestaltet wird, desto weniger anziehend wirkt das staatliche Angebot einer Einbürgerung.
Zudem muss politische Beteiligung auch erstrebenswert erscheinen. Der geborene homo politicus ist bei Nichtdeutschen wie auch bei Deutschen die seltene Ausnahme. Und die Nichtbeteiligung einer erschreckend großen Anzahl von Deutschen an Wahlen weist unabhängig davon auf den misslichen Umstand hin, dass unser politisches System und die politischen Prozesse auf mindestens die Hälfte der Wahlbürger wenig attraktiv wirken. Allem Anschein nach wird diese Entwicklung von der Politik nicht so ernst genommen, wie sie ist. Sonst wäre es kaum zu erklären, dass sich alle Parteien regelmäßig als Gewinner sehen, auch wenn ihnen etwa die Hälfte der Wähler durch Wahlverweigerung ihr Misstrauen ausspricht und sie bei dem Rest der Wähler noch zusätzlich beträchtliche Stimmanteile verlieren. Wie kann man Ausländern vorhalten, von Einbürgerungsmöglichkeiten nicht ausreichend Gebrauch zu machen, wenn jeder zweite wahlberechtigte Deutsche von seinen Bürgerrechten keinen Gebrauch macht?

Schließlich ist die absolute Fixierung auf die Staatsangehörigkeit letztlich an einem überholten Verständnis von Migration ausgerichtet. Die Globalisierung fördert den wandernden Menschen. Flexibilität wird zunehmend zum wichtigsten Qualitätsmerkmal des sog. Humankapitals. Damit verliert die Staatsangehörigkeit nicht ihre Funktion der Zuordnung und Angrenzung. Sie büßt aber für viele Menschen, und zwar gerade für die wirtschaftlich, menschlich und kulturell gewandten, an Attraktivität ein, weil sie nicht mehr unbedingt für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz benötigt wird. Die Entwicklung in Europa verdeutlicht diesen Trend recht anschaulich, und zwar bei Unionsbürgern wie bei Drittstaatsangehörigen. Über 250 Mio. Menschen aus 25 Staaten können ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der Union frei wählen. Sie müssen nur einem dieser Staaten angehören. Sie müssen nicht 24 andere Staatsangehörigkeiten sammeln, um von ihrer Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Sie dürfen umgekehrt in keiner Weise deswegen benachteiligt werden, weil sie nur eine einzige dieser Staatsangehörigkeiten besitzen. Drittstaatsangehörige genießen diese Inländerbehandlung nicht, sie werden aber mit dem Erwerb des EU-Daueraufenthaltsrechts ähnlich gesichert leben können und die deutsche Staatsangehörigkeit nur erwerben wollen, wenn sie den Ausschluss von den Wahlen und den sonstigen nur Deutschen zustehenden Bürgerrechten als Nachteil empfinden.